Carnische Materialisten

12.11.03

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Der im folgenden wiedergegebene Aufsatz von H. Klein ist zwar lang, aber für den Interessierten recht informativ, da dadurch ein Einblick in die Tätigkeit von Materialisten (insbesondere aus dem friulanischen Gebiet) gewonnen werden kann.
 
bullet Carnische Materialisten im Salzburgischen, H. Klein
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Kurzinformation

 

Aus Herbert Klein, Carnische Materialisten im Salzburgischen, (Festschrift, herausgegeben von der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, 1963)

Dass viele Friauler im 19. Jahrhundert und vor allem in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg als Saisonwanderer, als Arbeiter vorzüglich, aber auch als Unternehmer im Baufach, über die Alpen gingen, ist noch in lebendiger Erinnerung, und ist auch schon der Gegenstand liebevoller Darstellung geworden (Lodovici Zanini, Friuli migrante, Udine 1937). Weniger geläufig dürfte es der Gegenwart sein, dass früher, besonders im 17. und 18. Jahrhundert, zahllose Bewohner des friaulischen Berglandes Carnien ganz Süddeutschland und Österreich als wandernde Händler (friaulisch: cramàrs) mit Drogen und Arzneimittel zu durchziehen pflegten. Man bezeichnete sie dort mit dem uns heute seltsam anmutenden Namen "Materialisten" (materialisti). das sollte sie keineswegs als Anhänger einer philosophischen Schule bezeichnen, vielmehr verstand man unter "Materialien" und "Materialwaren" damals Drogen und Farbwaren, unter Materialisten daher die Händler mit diesen Gegenständen. Wie sehr dieser Handel ein Monopol der Carnier war, geht zum Beispiel daraus hervor, dass noch im Jahre 1803 der Magistrat der Stadt Salzburg behauptet, man verstehe auf dem Lande im Salzburgischen sowohl wie auch im in Österreich und Bayern unter einem "Welschen" nicht alle Bewohner Italiens ohne Unterschied, sondern Händler mit Spezerei-, Material- und Arzneiwaren, so dass man gelegentlich sogar einen ansässigen Krämer deutscher Geburt den "Welschen" nenne. Die Bezeichnung "Welsche" gelte also oft nur den Leuten, die sich mit diesen Handel abgeben "und besonders, wie die Eingeborenen des venezianischen Friauls, mit ihren Waren in Deutschland fast wie Nomaden herumwandern" (aus einer Erklärung des Magistrats, Salzburg 20. Juli 1803). Inwieweit die Täler der Berge Karniens gleichmäßig an diesem Handelsbetrieb Anteil hatten, müsste erst eine systematische Untersuchung an Hand sowohl der friaulischen wie der deutschen Quellen aufklären. Die im Salzburgischen tätigen Materialisten geben zwar öfters Tolmezzo als ihre Heimat an, - wobei unerwarteterweise noch im 18. Jahrhundert gelegentlich die mittelalterliche deutsche Bezeichnung für diese Stadt "Schönfeld in Friaul" verwendet wird-, doch scheint dabei nicht die Stadt als solche, als vielmehr ihr Bezirk gemeint zu sein, denn soweit genaue Nachrichten vorliegen, entstammen sie durchwegs dem oberen Val Degano. Am häufigsten wird Rigolato als ihre und ihrer Geschäftsfreunde Heimat genannt, daneben Pavolaro, Tualis, Valpicetto, Gracco, Givigliana, Ludaria, Sigiletto, Frassenetto, Forni Avoltri .....

Dass die Carnier sich auf den Handel mit Drogen und Arzneimitteln verlegten, hängt offenbar mit der geographischen Lage ihrer Heimat an der Grenze des venezianischen Gebietes gegenüber dem deutschen Raum zusammen. Zwar hatte Venedig das fast ausschließliche Monopol der Versorgung Europas mit den Drogen, Farbwaren  und Gewürzen der Levante und des Orients, das es im Mittelalter innegehabt hatte, durch die Verlegung der Welthandelswege verloren, aber ein wichtiger Platz auf diesen Handelszweig war ihm doch noch geblieben. Und tatsächlich finden wir, dass die im Salzburgischen tätigen carnischen Materialisten ihre Waren in der Spätzeit zwar zum größten Teil im Westen, z.B. in Nürnberg und Augsburg, und nicht in Italien einkauften, trotzdem aber Venedig als einzelner Bezugsort doch immer noch an der Spitze steht ...

Für die Täler der Carnia war der unermüdliche Fleiß seiner in der Fremde wandernden Bewohner jedenfalls eine Quelle beträchtlichen Wohlstands, der offenbar in der hohen Wohnkultur seinen Ausduck fand, die wir noch heute in den volkskundlichen Sammlungen, im Museum von Tolmeszzo vor allem, bewundern können. Aber auch in den Ländern, die sie einst durchzogen, haben sie sich ein dauerndes Denkmal geschaffen. Auf sie scheint wenigstens in Österreich und Süddeutschland, die Entstehung des Drogenhandels als eigener Geschäftszweig und er Drogerien als eigene Unternehmungen zurückzuführen zu sein.

Vorher führten nämlich die ortsansässigen "Spezereiwarenhändler" (Kolonialwarenhändler) neben den Gewürzen, Südfrüchten, geräucherten und eingesalzenen Fischen und sonstigen Kolonialwaren auch Farbwaren und Drogen (Materialwaren). Erst mit dem Auftreten der "welschen Materialisten", oder vielmehr von dem Zeitpunkt an, als es diesen gelang, sich als Kaufleute dauernd niederzulassen, trat eine Änderung dadurch ein, dass diese den Materialwarenhandel allmählich ganz an sich rissen und die Spezereiwarenhändler sich auf das reine Kolonialwarengeschäft zurückzogen. Dass in der Stadt Salzburg die ältesten Drogerien ausnahmslos auf carnische Materialisten zurückzuführen sind, weren wir noch sehen. An anderen Orten wird es ähnlich gewesen sein ...

Wie mehrere Materialistenfamilien im Salzburgischen festen Fuß fassten, wird in den Einzelfällen noch zu schildern sein. Der Vorgang war aber in ganz Süddeutschland und Österreich ein gannz allgemeiner und wird von dem Benediktdinerpater P. Anselm Desing, der von 1735 bis 1744 als Professor der Geschichte an der Salzburger Universität wirkte, in einem seiner historisch-geographischen Handbücher recht ergötzlich geschildert. Er beklagt hier zunächst die geringe Neigung der Seutschen zum Handel und fährt dann fort: " Die Savojarden, Friulaner, Venetianer und andere Welsche nehmen uns dahero den Handl so zu sagen vor der Nasen weg. In Beyern und herumbliegenden Orten ist fast kein Marckfleck oder Dorff, wo nicht ein Welscher oder ein sogenannter Materialist sich ansässig gemacht. Dise Leuth, wie man sagt und bekannt ist, nehmen anfangs ein Murmel-thier auf die Achslen oder Maus-Fallen: Nachdem sie hiermit ein elendes Stücklein Geld gemacht haben, kaufen sie in Augspurg oder Nürnberg ein Spihlwerk, tantzende Margarith (= Marionetten) oder dergleichen Possen, bald darauf kommen sie mit einer Butten Flor und Spitzen beladen; oder mit Pfeffer, Cathar-Zeltlein, Teufels-Dreck oder Theriac gehen sie den Leuthen in  die Häuser. Endlich setzen sie sich vest und ziehen vil Geld zusamm, welches sie offtmahlen denihrigen heimschicken, da sie doch die Waaren nicht, oder sehr selten aus Italien, sondern fast alle aus Franckfurth herholen."

Dass sich die einheimischen Kaufleute gegen die Versuche der Niederlassung der friaulischen Materialisten ebenso energisch zur Wehr setzten als gegen deren Hausiererwesen überhaupt, ist verständlich. Die Konkurrenz war eine tödliche. Die  Spezereiwarenhändler der großen Städte wie Salzburg, und nur diese, nicht die Krämer in  den kleinen Städten und auf dem Lande, scheinen überhaupt Drogen in größerem Umfang geführt zu haben, waren jenen Spezialisten in dieser Branche nicht gewachsen. ...

Zusammenfassung
 
Materialisten sind Händler, die mit Waren (Drogen) gehandelt haben, die von Apotheken gebraucht wurden. Sie waren zunächst nicht sesshaft und versorgten außer Apotheken auch Bewohner auf dem Land mit ihren Produkten. Sehr viele Materialisten kamen aus dem Friaul, vorzugsweise aus den Orten um Rigolato (Gracco gehört dazu). Durch ihren Fleiß und durch ihre Hartnäckigkeit ist es ihnen häufig gelungen in den großen Städten in Österreich und in Süddeutschland ansässig zu werden und sich gegen die einheimischen Spezereiwarenhändler, die ursprünglich mit den genannten Waren gehandelt haben, durchzusetzen. Öfters haben Materialisten selber Medikamente hergestellt und dadurch die Stellung der Apotheken untergraben. Beispiele dafür sind Valentin Gusseti und sein Schwiegersohn Johann Peter Gracco, die einen Wunderbalsam hergestellt und verkauft haben. Die beherrschende Stellung der "Welschen" hat dazu geführt, dass einheimische Händler und Apotheken versucht haben mit Hilfe der Obrigkeit die unliebsame Konkurrenz in Schach zu halten ...

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Stand: 29.04.02